Trübe Sicht

Klaus A. Sartorius, geb. 1953, wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Eine, viele Jahre andauernde Sprachstörung, erschwerte eine soziale Interaktion, auch wirkte die fehlerhafte Reproduktion eines Ariers, unter dem nachwirkenden Einfluss nationalsozialistischer Ideologie, höchst zwiespältig auf schlichte Gemüter. Doch ließ eine Laune des Schicksals diese Zäsur nach einigen Jahren vollständig abklingen. Was blieb, waren die seelischen Narben und ein Misstrauen zu dem Wesen Mensch, besonders dann, wenn es im Plural wirkt. Doch wäre die Akzeptanz der Gesellschaft und die Assimilation an sie, ein vorgegebenes Prozedere geworden, hätte nicht ein Blick auf ein blankes, weißes Buch, alle Eingliederung in die Normalität zunichtegemacht. Auf der zweiten Seite stand zu lesen, wovon dieses Buch handelte: „Der SS Staat, das System der deutschen Konzentrationslager“. Eine Lektüre, geeignet, jeden Leser, der über ein Quantum an humaner Moral verfügt, an den Menschen und ihrer psychischen Qualität, mehr als nur zweifeln lässt. Verbrechen, die in ihrer Abscheulichkeit fassungslos machen, millionenfaches Leiden und Morden von Menschen, ohne Skrupel, geplant und legitimiert durch formale Verwaltungsakte. Wenn das, in der ganzen Obszönität des Geschehens, auf einen sensiblen, empathische Charakter trifft, wird dieser mit der Gesellschaft, die dies zu verantworten hatte, ob nun Täter oder opportune Mitläufer, keinen Frieden mehr finden. Das war sein Dilemma, ein Leben zwischen Scham, Wut, Resignation, mit der gedanklichen Konsequenz, dass alles, was in dieser Gesellschaft geschah, per se aus einer, dieser Gesellschaft anhängigen, niederträchtigen Gesinnung hervorging. Doch letztlich arrangierte er sich pragmatisch mit diesem Umfeld, führte ein, in überraschender Weise, viele Jahre erfolgreiches, berufliches Leben als Unternehmer, heiratete und hatte zwei Kinder. Nur die Fülle unbeantworteter Fragen, in Bezug auf das Wesen Mensch und dessen instinktives, barbarisches Verhalten, welches immer, wenn auch in modifizierter Form, zutage trat und tritt, verfehlte ihre Wirkung nicht. Er blieb ein Außenseiter, gab, nachdem die familiäre Verantwortung dies zuließ, sein Geschäft auf und zog sich auf einen Einödhof zurück. Seit dieser Zeit versucht er auf seine Fragen Antworten zu erhalten, sich selbst und die Wesenheit seiner Spezies, auf irgend eine Weise plausibel zu kategorisieren. So entstand die Streitschrift – Menschliches zwischen Sein und Schein.
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